Lange wurde über sie gesprochen, jetzt ist sie im deutschen Bundestag angekommen: Die allgemeine Impfpflicht gegen das Corona-Virus. Hatten nahezu alle Parteien im Bundestagswahlkampf betont, dass es die Verpflichtung zum Pieks nicht geben werde, sieht es wenige Monate später bekanntermaßen ganz anders aus. Schon vor der ersten Debatte im Parlament nahm die öffentliche Diskussion teilweise groteske Züge an. Teile der FDP bereiteten mit Kollegen der Regierungsparteien SPD und Grüne einen Antrag zu einer Pflichtimpfung ab dem 18. Lebensjahr vor, während sich andere Abgeordnete der Liberalen für eine Impfpflicht ab 50 Jahren aussprachen. Die Union plädiert dagegen, ähnlich wie die Grünen, in großer Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht, möchte aber rechtliche Fragen geklärt wissen. Auch die Linke scheint geteilt: In ein Lager um Sahra Wagenknecht, dass eine Impfpflicht eher ablehnt, und ein „progressives“ Lager, die sich dem Impfpflicht-Vorschlag gegenüber offen zeigen. Einzig die AfD scheint eine klare Haltung zu besitzen: Jegliche Impfpflicht gegen das Corona-Virus lehnt die freiheitliche Partei ab. Das stellten die Fraktionsvertreter Dr. Alice Weidel und Tino Chrupalla wiederum in ihren Redebeiträgen im Plenum des Hohen Hauses heraus.
Die Redner der Debatte zur Impfpflicht:
Dagmar Schmidt (SPD): „Wir haben einen Weg aus der Pandemie: Dieser heißt Impfen!“
Die SPD-Bundestagsabgeordnete beginnt ihren Redebeitrag mit einer Kritik an denjenigen, die „das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen untergraben wollen.“ Gemeint sind wohl die Bürger, die sich gegen eine Corona-Impfung aussprechen und Kritik an den unverhältnismäßigen Maßnahmen fordern.
Die 48-Jährige möchte die Bürger zum Impfen einladen und führt aus: „Für den Weg aus der Pandemie brauchen wir eine allgemeine Impfpflicht.“ Die Impfstoffe gehören zu den besten überhaupt, so Schmidt, die alle Bürger ab 18 in die Kampagne miteinbeziehen möchte: „Wir haben einen Weg aus der Pandemie: Dieser heißt Impfen!“
Tino Sorge (Union): Impfung ist der Weg aus der Pandemie
Tino Sorge aus der CDU wirft Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, sich zu verstecken und keinen konkreten Lösungsvorschlag zur Impfpflicht vorzulegen. Die Union habe sich die Debatte zu einer allgemeinen Impfpflicht weit früher gewünscht, so Sorge, der die Impfung „als Weg aus der Pandemie“ bezeichnet. Der CDU-Politiker verlangt eine rasche Ausgestaltung und Beantwortung wichtiger Eckpunkte einer Impfpflicht, die die Union offensichtlich gerne mittragen möchte, wenn entscheidende Fragen beantwortet werden: „Wie soll die Impfpflicht aussehen?“, fragt der 46-jährige, der im weiteren Redeverlauf ein präziseres Lagebild und breitere Datengrundlage verlangt und wiederholt einen schriftlichen Entwurf zur Vorlage durch die Bundesregierung vermisst.
Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis90/ Die Grünen): „Es muss die Regel werden, geimpft zu sein!“
„Die Pandemie setzt uns alle unter Druck“ so Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen. Ähnlich wie ihre Vorredner bezeichnet die 55-Jährige das Impfen als Weg aus der Pandemie und als entscheidenden Schlüssel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Impflücken müssten geschlossen werden, die Einführung einer allgemeinen Pflicht bewertet Kappert-Gonther als richtig. Long-Covid sei ein zusätzliches Risiko und auch junge Menschen könnten einen schweren Krankheitsverlauf haben, daher sein eine altersbezogene Impfung der falsche Weg. Das dabei ausgesendete Signal sei fatal. Die Impfbereitschaft bei den Jüngeren nehme so ab, was kontraproduktiv sei. Vielmehr sorge die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gesellschaftliche Befriedung: „Es muss die Regel werden, geimpft zu sein!“
Tino Chrupalla (AfD): „Das ist eine Schande, was hier passiert!“
AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla sieht es „düster bestellt um unser Land.“ Der Ampelregierung wirft der 46-Jährige dabei vor, autoritäre Regeln durchsetzen zu wollen und kritische Stimmen zu diffamieren. „Wer nicht glaubt, ist automatisch ausgeschlossen“, so Chrupalla, der auf den Ausschluss ungeimpfter Abgeordneter zur Gedenkveranstaltung im Bundestag am 27. Januar hinweist: „Das ist eine Schande, was hier passiert!“ Im zweiten Teil seiner Rede übt der AfD-Fraktionschef Kritik an der plötzlichen Veränderung des Genesenen-Status durch das Robert-Koch Institut („Brauchen wir das Bundesgesundheitsministerium eigentlich noch?“) und wirft der Bundesregierung eine fehlende „Corona-Exit-Strategie“ vor. Im Gegensatz dazu stehe die AfD klar für „Freiheit statt Spaltung“, so Chrupalla am Ende.
Die ganze Rede von Tino Chrupalla im Video:
Marco Buschmann (FDP): Rechtliche Fragen statt klarer Antworten
Der Bundesjustizminister begrüßt die Debatte im Bundestag zur Impfpflicht und nutzt seine Redezeit mit einer Ausführung rechtlicher Fragen zu dieser. Die Verfassung verlange eine klare Benennung des Ziels, so Buschmann, der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems sei hier entscheidend. „Ist die Erreichung des Ziels auch mit geringeren Mitteln möglich?“ fragt der 44-Jährige. Dabei bringt Buschmann eine gestufte Impfplicht ab 50 Jahren ins Spiel, um die Krankenhäuser vor Überlastung zu schützen. Fragen wie diese müssten geprüft werden, so der Liberale, der eine Positionierung in der Frage vermeidet.
Kathrin Vogler (Die Linke): Corona-Gefahr wird unterschätzt
Kathrin Vogler von der Linkspartei sieht eine Durchseuchungsstrategie, auch in der jetzigen Omikron-Lage mit leichteren Verläufen als unethisch an. Die 58-Jährige sieht vielmehr eine völlig verzerrte Risikowahrnehmung der Bürger, die Gefahr von Corona werde unterschätzt. Hingegen würden „milliardenfach erprobte Impfstoffe“ kritisch beäugt, die Vogler offensichtlich als sicher erachtet. Trotzdem bezeichnet die Linken-Abgeordnete eine Impfpflicht als „Ultima Ratio“, jedoch auch als Mittel, um Freiheiten im gesellschaftlichen Leben zu schützen. Eine kritische Spitze gegen „Corona-Leugner des Internets“ darf natürlich auch nicht fehlen. Zum Ende ihrer Redezeit fordert Vogler niedrigschwellige Impfangebote und mehr Informationen für die Bürger.
Dr. Alice Weidel (AfD): „Lassen Sie die Hände von der Impfpflicht!“
Die starke Rednerin der AfD-Fraktion bezeichnet die mögliche Impfpflicht in ihrem Beitrag als „beispiellosen Sündenfall“, „eine unerhörte Grenzüberschreitung“ und „Wählerbetrug“. Es sei ein Anschlag auf die Freiheit und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sowie ein „Amoklauf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“, falls die Pflicht durchgesetzt werde. Es gebe dafür keine juristische oder ethische Rechtfertigung, so die 42-Jährige, die stattdessen bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen und Personalgewinnung in Klinken fordert. Die Impfpflicht bedeute ein Berufsverbot für ungeimpfte Pfleger, kritisiert Weidel, die später auf die gespaltene Gesellschaft und die Qualen für Kinder und Jugendliche in der Pandemie eingeht. Der Bundesregierung empfiehlt sie einen Blick nach Europa wie Dänemark oder Spanien und fordert, die Stimmen der Maßnahmenkritiker endlich ernst zu nehmen: „Lassen Sie die Hände von der Impfpflicht!“ ruft Weidel der Regierungsbank am Ende zu.
Die ganze Rede von Alice Weidel im Video:
AfD positioniert sich klar – FDP bleibt schwammig
Die Positionen der Bundestagsfraktionen zur Impfpflicht scheinen mit Ausnahme der AfD nicht ganz eindeutig. Die SPD möchte wohl in großer Mehrheit die Zustimmung zu einer allgemeinen Corona-Impfpflicht geben, die Union nach einer Klärung entscheidender Fragen offensichtlich auch. Die Grünen schließen sich dieser Haltung zum großen Teil an, während der FDP-Redner Buschmann eine Haltung seiner Fraktion völlig offenließ. Im Gegensatz dazu zeigte die AfD klare Kante: Mit ihr wird es eine Impfpflicht gegen Corona nicht geben. Das hatte die FDP übrigens auch mal gesagt. Nur eben vor der Wahl.